Neujahrsvorsätze: Sinnvoll oder nicht?

Einblicke im Volksstimme Interwiev mit Alexander Walter.

Im neuen Jahr werde ich mehr Sport machen, weniger essen, seltener trinken oder mich mehr um Freunde und Familie kümmern.

Gute Vorsätze wie diese versprechen die Wende zum Besseren in unserem Leben – die Aussicht, sich und den eigenen Alltag zu optimieren. Besser organisiert, gesünder, bewusster und am Ende vielleicht sogar glücklicher zu sein, all das schwingt bei „guten Vorsätzen“ mit. Doch wie gut sind sie wirklich? Helfen sie uns oder sind sie eher Bürde? Und wenn man welche hat, wie lassen sie sich umsetzen? Die Volksstimme hat mit der psychotherapeutischen Heilpraktikerin Sandy Vollmann aus Magdeburg über das Thema gesprochen.

Sandy Vollmann | Psychotherapie, Familientherapie, Paartherapie und Coaching in Magdeburg
Volksstimme: Frau Vollmann, am Montag beginnt das neue Jahr. Haben Sie schon gute Vorsätze für 2024?

Sandy Vollmann: Nein, ich hatte noch nie gute Vorsätze.

Wieso nicht? Das müssen Sie erklären…

Schon der Begriff ist irreführend. „Gute Vorsätze“ sind zunächst ja etwas, das ich mir selbst verordne. Wenn sie tatsächlich so gut sind, ist die Frage doch aber: Warum habe ich sie nicht schon irgendwann im vergangenen Jahr umgesetzt?

Ich finde spannend, warum Menschen ausgerechnet zum 31. Dezember anfangen, Pläne zu schmieden, wenn sie doch 364 Tage davor Zeit gehabt hätten, ihr Leben anders zu gestalten.

Oder anders formuliert: Sich etwas ausgerechnet zum Jahreswechsel vorzunehmen, klingt für mich eher nach Druck als danach, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu folgen.

Anders gefragt: Jemand meint, ein paar Kilogramm zu viel auf der Waage zu haben und nimmt sich vor, diese im neuen Jahr abzutrainieren. Ist das nicht ein nachvollziehbarer Plan?

Das Thema hatte ich tatsächlich auch gerade erst, und ich habemich vorm Badezimmerspiegel gefragt, warum hast du nicht längst angefangen, wieder ein bisschen mehr Sport zu treiben? Meine Antwort: Es ist gerade kalt und dunkel und ich hatte zuletzt viel Stress. Ruhe und Zuhausesein waren da wichtigerfür mich.

Ich weiß, dass mir Sport in guten Zeiten prinzipiell guttut, und dann mache ich ihn auch. Aber aktuell brauche ich die Ruhephasen eben für mich. Was ich sagen will: Es gibt meist gute Gründe, warum wir etwas tun oder eben lassen.

Wenn jetzt aber doch jemand den Vorsatz hat, zum Beispiel mehr Sport zu treiben. Wie kann er das angehen?

In jedem Fall sollte man Druck herausnehmen. Hilfreich sind hier die Begriffe der Ich-Bewusstheit und der Selbst-Ehrlichkeit. Das heißt: Erst, wenn ich mir klarmache, warum ich Dinge tue – oder eben auch nicht tue – bin ich ehrlich zu mir selbst. Diese Ehrlichkeit ist Voraussetzung dafür, gesetzte Ziele auch zu erreichen.

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Wenn ich mir vornehme, im neuen Jahr mehr Salat zu essen, ich aber eigentlich gar keinen Salat mag, belüge ich mich im Grunde und werde das vermutlich nicht sehr lange durchhalten. Solche Vorsätze sind deshalb nicht sinnvoll.

Wenn ich mir aber vornehme, nichts mehr zu trinken, weil ich die Einsicht gewonnen habe, dass mir das nicht guttut, kann das durchaus sinnvoll sein.

Nachvollziehbar – aber das wäre ja dann im Wortsinn tatsächlich ein guter Vorsatz oder?

Beim Vorsatz allein sollte es nicht bleiben, auch den verordne ich mir ja erstmal nur. Ich sollte mich fragen, warum habe ich bisher getrunken? Vielleicht, weil ich Ärger bei der Arbeit habe oder vielleicht, weil ich mit mir selbst nicht in Berührung kommen will?

Das für sich zu klären, ist wichtig. Erst wenn ich die Gründe kenne, hat mein Wunsch, nicht mehr zu trinken – und so würde ich das Vorhaben eher nennen – eine realistische Chance auf dauerhafte Umsetzung. Oft sind Gewohnheiten, wie zu viel zu trinken, aber auch zu essen oder zu rauchen – generell Symptome dafür, etwas Belastendes, Konfliktträchtiges nicht wahrnehmen zu müssen.

Dasselbe gilt für die Neigung, über Krisen in der Welt oder andere Leute zu schimpfen. Statt mich meinen Ängsten oder inneren Konflikten zu stellen, arbeite ich mich an Katastrophen oder den Mitmenschen ab. Meine eigenen Baustellen blende ich aus.

Lassen Sie uns noch einmal zum Sport kommen: Müssen wir nicht manchmal einfach auch den Kampf gegen den „inneren Schweinehund“ aufnehmen müssen, um dranzubleiben, auch wenn wir uns vielleicht gerade nicht danach fühlen?

Ich halte es für völlig normal, dass der Mensch nicht immer wie eine Maschine funktioniert. Wenn mich immer die gleichen Symptome oder Probleme daran hindern, etwas zu erreichen, sollte ich mich immer fragen, warum das so ist.

Woran kann ich denn festmachen, ob ein Vorhaben sinnvoll ist – ich also ehrlich zu mir selbst bin, wie Sie es ausdrücken?

Das wichtigste Motiv sollte sein, dass ich das, was ich vorhabe, grundsätzlich gern tue, dass es zu mir gehört. Ich sollte es mir nicht nur vornehmen, weil es von außen an mich herangetragen wird. Es kann etwa sinnvoll sein, regelmäßig im Stadtpark spazieren zu gehen.

Dann müssen Sie trotzdem vorher erkannt haben, dass Ihnen Bewegung fehlt. Ein Artikel über Gesundheit, den Sie gelesen haben, kann zwar der Impuls für den Entschluss sein, das Motiv zur Bewegung muss aber in Ihnen selbst vorhanden sein.

Und wenn ich schon ein Hobby habe, mir aber ein größeres Ziel setzen will – sagen wir eine Bergbesteigung. Welchen Tipp hätten Sie?

Mein Tipp wäre: Fangen Sie klein an, zum Beispiel mit Wanderungen im Harz. Realistische Ziele sind wichtig, wenn man ein großes Vorhaben umsetzen will. Auch hier hilft es aber, sich selbst nach den Motiven zu befragen, die hinter solchen Vorhaben liegen. Ich hatte Klienten, die tatsächlich schon hohe Berge bestiegen haben.

Im Gespräch zeigte sich dann, dass sie gar nicht benennen konnten, warum. Erst als wir auf die Themen Abenteuer, Freiheit, Unabhängigkeit zu sprechen kamen, bekamen sie glänzende Augen. Es ist daher immer besser, sich nach den eigenen, innersten Wünschen zu befragen, als sich gute Vorsätze zu verordnen.

Auf den Punkt gebracht: Sie würden also generell von guten Vorsätzen abraten.

Ja, weil man sie sich selbst verordnet und sie damit äußerlich sind. Wenn mir jemand sagt – und sei es eine Stimme in mir: Du sollst, du musst, bin ich raus. Da fängt das Verweigern an. Gut kann es werden, wenn ein Vorhaben meinen Bedürfnissen entspricht. Aber auch hier sollte ich mich nicht überfordern und mir machbare Ziele setzen.

Veröffentlicht in der Magdeburger Volksstimme vom 30.12.2023:
Neujahrsvorsätze: Sinnvoll oder nicht? Einblicke von Sandy Vollmann